Bilderbuchpreis Huckepack 2018
Die HUCKEPACK-Jury kürte im Jahr 2018 aus insgesamt 209 vorliegenden Büchern einstimmig den nachfolgend genannten Titel zum diesjährigen Preisträger:
Alice Lima de Faria
Ich war’s nicht!, sagt Robinhund
Aus dem Norwegischen von Kerstin Schöps
mixtvision 2017
»Das war ich nicht!« – Wohl kaum ein anderer Satz kann in so ureigener kindlicher Empörung geäußert werden und dabei doch sofort auf Zweifel stoßen. Denn sehen Erwachsene in der Verleugnung einer Tat nicht fast automatisch ein kleines Schuldeingeständnis? Robinhund jedenfalls stößt auf wenig Verständnis, als er in der Kita die Milch umstößt, beim Schaukeln zu wild ist und dann auch noch mit dem Fußball ein anderes Kind in den Bauch trifft. »Ich war’s nicht!«, sagt Robinhund jedes Mal aufs Neue, doch niemand glaubt ihm – alle haben ja genau gesehen, was er gemacht hat. Und sollte jemand nicht genau hingeguckt haben, dann ist da ja noch der hilfsbereite kleine Tino, der immer mit dem Finger auf Robinhund zeigt, wenn etwas passiert.
Für Robinhund ist dieser Tag im Kindergarten kein guter Tag. Und schaut man sich an, wie das Bilderbuch beginnt, dann gibt es wohl noch viele weitere Tage, die keine guten Tage für ihn sind.
Robinhund geht mit deutlichem Widerwillen in die Kita, muss von seinem großen Bruder regelrecht hingezerrt werden. »Die sind alle doof«, murmelt Robinhund dabei vor sich hin, aber sein großer Bruder geht nicht weiter darauf ein.
Tatsächlich sind ja – objektiv betrachtet – auch gar nicht alle doof. Als Robinhund mit einiger Verspätung in der Kita eintrifft, wird er von der Erzieherin und ein paar Kindern schon an der Tür erwartet. Besonders Fritzi freut sich, ruft »Endlich!« und wirft die Arme in die Luft. Fritzi ist es auch, der jubelt, als die Milch umfällt. Es sieht ja auch so lustig aus, wie sie Onno ins Gesicht spritzt und er dann so verdattert guckt. Erzieherin Hedda findet das weniger lustig, als sie Onno die Augen auswischt, und so schlägt sie vor, dass Fritzi und Robinhund doch draußen spielen könnten.
Jetzt möchte Fritzi gern hoch und wild schaukeln, viel höher, als erlaubt ist (wie Tino hilfreich anmerkt). Und wieder ist es Onno, der alles abbekommt. Erst die Milch, und jetzt den ganzen Fritzi, der im hohen Bogen durch die Luft geflogen kommt, weil das Halteseil der Schaukel reißt.
»Er war’s schon wieder!« erklärt der kleine Tino hilfreich, als Hedda nach dem Rechten sieht. »Aber das war ich nicht!«, sagt Robinhund, der betreten daneben steht.
Wenig später ist zum Glück schon wieder alles vergessen. Robinhund spielt weiter mit Fritzi. »Schieß so fest du kannst!«, ruft Fritzi und Robinhund schießt, voller Begeisterung!
Endlich fühlt er sich so richtig wohl!
Die Freude indes währt nur kurz, weil der arme Onno schon wieder im Weg steht und der Erzieherin nun die Geduld reißt. Robinhund muss zu Sonja ins Büro! Hier kommt er schon gar nicht mehr dazu, seine Unschuld zu beteuern. Es gibt in Sonjas kleinem Büro kaum Raum für ihn, der sich klein und elend fühlt. In Robinhunds Wahrnehmung ragt Sonja bedrohlich und übermenschlich groß vor ihm auf. Da bleibt nur die Flucht! Robinhund versteckt sich – vor Sonja und Hedda, vor seinen Freunden, vor diesem ganzen dummen Tag und beschließt, nie mehr herauszukommen.
Es ist ein herzzerreißendes Bild über eine ganze Doppelseite, mit dem Alice Lima de Faria diesen anderen Robinhund einfängt.
Nicht den knurrigen der ersten Seiten, nicht den spielenden, sondern den, der sich so allein und unverstanden fühlt, dass ihm eine dicke Träne über die Wange rinnt. So ist es gut, dass diese Schwere gleich nach dem Umblättern aufgehoben wird: Robinhunds Bruder ist da. Er ist da und findet und versteht den kleinen Robinhund, der das doch alles nicht war. Nicht das mit der Milch, nicht das mit der Schaukel und auch nicht das mit dem Ball – einfach weil er nichts, rein gar nichts von alledem mit Absicht gemacht hat!
Ich war’s nicht!, sagt Robinhund ist eines dieser besonderen Bilderbücher, in denen durch eine kaum wahrnehmbare kleine Drehung die kindliche Wahrnehmung in den Vordergrund gerückt wird. Alice Lima de Faria gibt damit all den Kindern eine Stimme, die es noch nicht vermögen, sich selbst mit Worten zu verteidigen. Sie trägt mit ihrem wunderbar warmherzigen und dabei so anrührend illustrierten Bilderbuch dazu bei, dass erwachsene Vorleser nachdenklich werden. Wie oft haben sie schon »Das war ich nicht!« gehört, ohne sich zu fragen, was für tiefere Gedanken womöglich hinter diesen Worten steckten.
Das Bilderbuch trägt dazu bei, mehr Verständnis für diejenigen Kinder zu schaffen, auf die immer irgendjemand mit dem Finger zeigt. Gleichzeitig regt es die Erwachsenen zur kritischen Reflexion an: Niemand von uns möchte so furchteinflößend erscheinen, wie hier Sonja in ihrem Büro. Doch sollten wir Großen nicht vergessen, dass wir genau diese Wirkung haben können auf Kinder, die sich ohnehin schon klein und elend fühlen. Was hier im Ungleichgewicht gezeigt wird, rückt Robinhunds Bruder wieder gerade: »Wenn er sich zu Robinhund hinunterbeugt, dann sind sie gleich groß«, heißt es zu Beginn des Bilderbuchs. Und es ist dieses Bild, das wir im Herzen bewahren sollten!
Alice Lima de Faria
Alice Lima de Faria, 1968 geboren, ist eigentlich eine norwegisch-schwedische Bühnenbildnerin und Illustratorin, die ihre Ausbildung an der Hochschule für Design und Kunsthandwerk in Göteborg/Schweden und der Danmarks Designskole in Kopenhagen absolvierte.
»Ich war’s nicht!, sagt Robinhund« ist ihr Debüt als Bilderbuchautorin. Seither hat sie weitere Geschichten verfasst, die vom schwedischen Fernsehen umgesetzt werden. Auch ein weiteres Bilderbuch hat sie in der Zwischenzeit publiziert.
Robinhund wird im Bilderbuch immer wieder beschuldigt, etwas getan zu haben, an dem er sich unschuldig fühlt. »Ich war’s nicht!«, sagt er, wenn wieder mit dem Finger auf ihn gezeigt wird. Der berührende Wendepunkt tritt ein, wenn klar wird, dass er sich unschuldig an allem fühlt, das er nicht absichtlich angestellt hat – ein Umstand, den die meisten Erwachsenen wohl anders sehen. Das Bilderbuch regt dazu an, zweimal nachzudenken, bevor man mit einem Kind schimpft und zwischen Missgeschicken, die einfach so passieren, und anderen Situationen, in denen vorsätzlich gehandelt wurde, zu unterscheiden.